Dienstag, 27. Juli 2010

peoplemover

wir wollen den geneigten leser ja nicht mit fragen von unter- und überbau von gleisanlagen langweilen, aber durchgehend geschweißtes gleis verhindert schienenstöße und vermitteln nicht nur dem von der frühschicht aus emmelsum heimkehrenden hafenarbeiter mehmet kutz, sohn eines polnischen vaters und einer türkischen mutter, das sanfte gefühl, nach hause – in diesem fall möllen – gewiegt zu werden. während mehmet - alle duzen ihn, ihn stört das nicht - so aus dem fenster guckt – die U4 fährt bekanntlich oberirdisch auf den werksgleisen der eronik (früher bekanntlich die linie oberhausen – obermeiderich – walsum – möllen – spellen) und jenseits der frankfurter str. friedlich, wenn auch in der hitze von aufdringlichen insekten belästigt, grasendes viehvolk, beäugt, macht es kurz vor der haltestelle „eichenweg“ RUMMS (= dies ist keine abkürzung, sondern lautmalerischer ausdruck einer schweren erschütterung).was war passiert? würde mehmet immmer noch, wie geplant, nach feierabend seinen tee trinken können im möllener multi-kulti-verein, der ja noch immer auf „auf der horst“ residiert. für die freunde des kalauers sei hinzugefügt: auf der horst heißt möllen müllen. die bewohner dieser alarm-, zaun-, schloß- und stacheldrahtgesicherten parzellen sollten weniger die deutsche als die fahne von messi hissen (zu erreichen ist „die recyclte welt“ über die station „möllen bf“). das grasende viehvolk im blickwinkel von mehmet sprang auf und ab, vergeblich versuchte er das bild zu justieren. „war auf einmal ratterratter“ (so jedenfalls herr kutz). was er beschreiben will, ist, daß der hintere teil des kanariengelben „binalco-bombers“ (wie ihn das fußballverrückte voerde nennt) aus dem gleis gesprungen war und vom fahrzeugführer anscheinend unbemerkt 500 meter auf dem kiesbett rutschte, bis der zug sich in die haltestelle „eichenweg“ retten konnte und dort auch, zum glück für alle beteiligten, zum stehen kam. der lokführer wurde unter schock in das st-vinzenz-hospital dinslaken verbracht. der zustand der maroden, bereits 1912 in betrieb genommenen, gleisanlagen ist nicht zuletzt von der VUG (VoerderUntergrundGegner) wiederholt kritisiert worden. winand schürmann wie gewohnt wörtlich: „nicht umsonst quietschen die kohletransporte der eronik im schrittempo durch den wohnungswald. das war für mich eine frage der zeit.“ er persönlich ziehe letztlich überhaupt auch den gesang der dortigen vogelwelt vor. der VVV (VoerderVerkehrsVerbund) hat aber schnell reagiert und die U4 als erste deutsche versuchsstrecke für das system VAL (véhicle automatique léger) ausgeschrieben. es handelt sich dabei um einen leichten, automatisch, also führerlos betriebenen zug, dessen trag- und antriebsfunktion durch gummibereifte räder auf einem betonfahrweg ausgeübt wird. probleme mit der eronik sieht heinrich pontkees, maßgeblicher anteilseigner des VVV, nicht: „wenn der kohlehafen auf den äckern am rheinufer zwischen dem dinslakener ortsteil am stapp und dem kraftwerk kommt, sind die jetzt noch gemeinsam genutzten, leider bisher nicht vorübergehenden langsamfahrstrecken ohnehin obsolet.“ schürmann erwarte bissig die betonierung der luft des wohnungswaldes (die U4 verkehrt bekanntlich von „möllen bf“ bis „eppinghoven sportsplatz“ als hochbahn über dem rotbach), nebenbei wäre ihm ja immer klar gewesen, daß die voerder u-bahn führungslos in eine ungewisse zukunft rase. mehmet kutz ist nach dem endlich organisierten schienenersatzverkehr abends noch mit „kati“ und „günni“ (gemeint sind käthe matzken und dr. gunther r. schmidthuysen, siehe zu beiden unsere beiträge „ein leserbrief“ vom 12. juni 2010 und 17. august 2009) auf den schrecken dann doch noch einen raki trinken gegangen.

Donnerstag, 22. Juli 2010

Rund um Rhynum

Wer dieser Tage den automobilen Weg antritt, um von Mehrum nach Götterswickerhamm zu gelangen, der muss lange Umwege durch die Voerder Puszta in Kauf nehmen. Irgendwo zwischen Wurm und Storch führt ihn die hastig zusammengestampfte Rollbahn auf verschlungenen Wegen dahin, Wege, die nie einer kannte und auch sonst niemand befährt, außer John Deere vielleicht.

Grund für die abenteuerliche Umleitung - bei der sich so mancher, der Leergut zu Trinkgut bringt, oder Eier von Edeka (im Neudeutsch "E-Center") heimwärts, an "Lohn der Angst" erinnert fühlt - ist der Zusammenschluss der U2-Trasse zwischen "Haus Mehrum" und "Görsicker". Wo bald die schmucke Haltestelle auf der Deichkrone mit kleinem Backshop und Kaffeebüdchen (welches im Moment noch behelfsmäßig auf dem Parkplatz am Storchennest residiert) an das untergegangene Rhynum erinnern wird, wälzen sich im Moment noch die Bagger im Schlamm. Grund für den landschaftlichen Kahlschlag ist die etat-politische Endscheidung, die Strecke nicht per Schildvortrieb voranzutreiben, sondern diese im neuen, erhöhten Deich einzugliedern. Dieser neue Hochwasserschutz wird bekanntlich aus Landesmitteln und zu einem nicht unerheblichen Teil aus der Schwarzgoldkasse der DSK (Deutsche Steinkohle AG) finanziert. Nun bekommt dieser Damm als kostengünstige Beigabe eben noch eine quadratische Betonröhre als Spina dorsalis, in dem sich die U-Bahnen frei und unbehelligt vom benachbarten Strom bewegen können.

Deichgraef Renko Carl-Frieder Bernward von Salm-Hoogstraten zeigte sich anlässlich der gestrigen Deichbegehung zufrieden mit den Fortschritten vor Ort. Er begrüßte im Namen der Voerder Deichschau die Entscheidung des Rates, den von Bergsenkung und Klimaerwärmung stets gefährdeten Deich durch einen betonierten Betonkern, welcher die Gleise der U2 führt, äußerst langfristig zu sichern. Die Ängste einiger Anwohner, die U-Bahn könne mit ihren Erschütterungen für Instabilität des Deichkörpers sorgen, nahm er interessiert auf, als sie ihm von den Kuhweiden am Deichfuß zugerufen wurden. Den drei bis vier anwesenden Mehrumer Demonstranten samt Bettlaken ("V V V - Schluss mit U-Bahnbau!") kam er insofern entgegen, als dass er sich von der Deichkrone herabließ, um ihnen mit wahrhaft adliger Gewandheit Rede und Antwort zu stehen. Es bestünde kein Anlass zur Sorge, so von Salm-Hoogstraten, der fertige Deich wäre nicht nur einer der höchsten dieser Welt, sondern auch einer der sichersten. Mit seinem eisenarmierten Betonkern wäre er kaum zu zerstören, das Gleisbett sei beweglich aus absorbierendem Gestein geschaffen, und weitere Bergsenkungen würden die gefugten Teilstücke des Tunnels flexibel verkraften. Fast über eine Stunde erläuterte der Deichgraef geduldig die neuzeitliche Tiefbaukunst am Rhein, und regte an, besorgte Bürger in einer öffentlichen Anhörung in der Alten Schule Löhnen zu empfangen, für alle, die es an diesem Tag nicht zum spontanen Ortstermin geschafft hätten. Murmelnd ging man auseinander, jedoch ist es fraglich, ob die Kritiker damit milder gestimmt wurden. Jedenfalls konnte man heute an der Betonwand in Höhe der Nato-Rampe lesen "Denn eins ist sicher: Der Deich", gesprüht in kunstvollen Silberlettern mit roter Outline, der Handschrift von VUG's Chefwriter Ditz.

Dienstag, 6. Juli 2010

Interview: Nun schweigt die Höh

"Nicht gerade bergauf geht es mit Voerde, obwohl es mühsam genug für den Rat zu sein scheint, sich stadtgestalterisch an der Erdoberfläche Denkmäler zu setzen. Kein Hochhausanbau, kein Voerder Tor, kein Vertikales Voerde. Statt dessen gibt's "Kartoffeln für Möllen" und Neonröhren am Schinkel'schen Kirchturm, in Gestalt von Gleisen freilich, dank Sponsoring des allgegenwärtigen VVVs (Voerder-Verkehrs-Verbund). Lieber bewegt man sich unter Tage in geordneten Bahnen, und über Tage, wo sich schon lange Däumchen statt Krane drehen, macht man Kreise."

Unser Blog hat sich mit dem umstrittenen Voerder Historiker und Kulturkritiker Friedrich Baettgens über die oft beklagte Lage der Stadtplanung unterhalten.

U-topia: Herr Baettgens, es gab in den 80er Jahren an prominenter Stelle ein Graffiti "Stadt Voerde Stadt, Voerde platt!". Laut der Aussage kritischer Bürger trifft dies heute noch zu. Würden Sie dem zustimmen?

Baettgens: Ja. Ich habe diese Schmiererei damals gesehen, darüber geschmunzelt und gedacht, das könnte von mir sein. Heute sehe ich das anders. Heute würde ich vielleicht schreiben "Statt Voerde Stadt, Voerde platt".

U-topia: Weil Sie noch immer für eine Rückkehr zur Gemeinde Voerde und einem Kirchspiel Götterswickerham eintreten?

Baettgens: Nein, das waren damals nur Gedankenspiele. Lieber sähe ich, dass sich die Kommunalreform in der ursprünglichen Fassung durchgesetzt hätte.

U-topia: Das heißt, Voerde wäre je zur Hälfte entlang der Grenzstraße an Dinslaken und Wesel gefallen?

Baettgens: Richtig. Man hätte damit ein Schlußstrich ziehen können. Das Ende eines Flickenteppichs, einer Zwangsehe zwischen Bauernschaft und Truppenübungsplatz. Aber das meinte ich nicht. Wie Sie vielleicht wissen bin ich seit einigen Jahren engagierter Kritiker der Voerder Bebauungspolitik. Vielleicht habe ich den status quo als sogenannte Stadt hingenommen, nicht aber das, was der Stadtrat damit anstellt. Ich kann damit leben dass Voerde Stadt sein will, was übrigens völlig absurd ist, nicht aber mit dem Wie.

U-topia: Und wie will Voerde Stadt sein?

Baettgens: Vorallem unter Tage, wie mir scheint. Doch dazu später bitte. Die Stadt verspricht seinen Zuwanderern ein idyllisches Landleben vor den Toren des Ruhrgebiets. Wer jedoch ohne Vorbehalt hier hereinfährt findet einen entvölkerten Stadtkern ohne Seele vor. Wie Bukarest: Betonwüsten, Brachflächen und Brunnen, die längst versiegt sind. Das übrigens ist exemplarisch! Der Brunnen, als letztes Attribut einer dörflichen Idylle. In Voerde entweder verschwunden oder versteinert. Der Markplatzbrunnen ist weg. Ebenso der Spellener. Bei dem an der Bahnhofstraße hat man das Wasser durch Beton ersetzt. Das muss man sich mal vorstellen.

U-topia: Bliebe noch das Gewässer im Helmut-Pakulat-Park ...

Baettgens: Kommen Sie, das ist doch kein Brunnen! So etwas nannte man früher Kloake, besser bekannt als "Pissrinne". Das ganze mündet dann in einer frivolen neo-römischen Badewanne, in dem die Hunde ihre Gemüter kühlen. Wieder so ein Beispiel für gut gemeinte Fehlinvestition. Wobei mir die Finanzen leidlich egal sind, schließlich stehe ich der FDP nicht all zu nahe.

U-topia: Sind diese Versuche, Naherholungsräume zu schaffen nicht auch exemplarisch?

Baettgens: Ja, denn sie sind allesamt gescheitert. Voerde hat mehr Parkdecks als Parkanlagen. Wo die Menschen wandern, entstehen Gewerbegebiete. Haus Voerde mit seinem Park der Ringe, ein Ewigkeitsprojekt, geschaffen in der Hoffnung, jemand möge in naher Zukunft vergessen, dass er gebaut werden soll. [...]

Hinweis: Ein komplettes Transscript dieses Interviews wird i.M. erstellt. Es wird an dieser Stelle in Kürze zum Download bereitstehen.